Zur emotionalen Entwicklung von Kindern alkoholkranker und co-abhängiger Eltern

Die Hoffnung alkoholkranker Eltern bzw. co- abhängiger Eltern ist immer die Gleiche, nämlich dass ihre Kinder von der problematischen Familiensituation nichts merken. Leider ist dies ausschliesslich genau das: eine Hoffnung bzw. ein Irrglaube.

Kinder spüren, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Sie haben ein emotionales Radar, welches bei Schwierigkeiten, Streitereien, Stress, oder Veränderungen anschlägt. Wenn Erwachsene versuchen ihnen zu suggerieren, dass alles in Ordnung ist, obwohl gegenteiliges der Fall ist, kann nur eines folgen:

die Kinder fangen an, an ihrer Intuition und an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Sie denken, mit ihnen stimmt vermutlich etwas nicht. Dies führt dazu, dass sie beginnen, sich wie der co-abhängige Elternteil zu verhalten. Sie bemühen sich überaus brav und unauffällig zu sein und unter keinen Umständen negativ aufzufallen. Sie lernen dadurch sehr früh, sich überangepasst zu verhalten. In weiterer Folge entwickeln sie ein Gefühl von Verantwortung und Zuständigkeit, welches sie meistens überfordert und ihnen nicht gehört. Diese Kinder werden selbstständig in Bereichen, in denen sie nicht selbstständig sein sollten. Bei jeder Eskalation der häuslichen Situation suchen sie den Fehler bei sich, geben sich selbst die Verantwortung und die Schuld.

Diese Erfahrungen sind prägend für ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung. Oft finden sich Kinder alkoholkranker Eltern bzw. co-abhängiger Eltern im Erwachsenenalter in Beziehungen mit alkoholkranken Menschen wieder. Das System – wenn auch noch so toxisch – ist bekannt, die dazu dienlichen selbstsabotierenden Denk- und Verhaltensmuster gut geübt.

Zusätzlich haben diese Kinder ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Häufig treten Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität, emotionale Störungen oder Störungen des Sozialverhaltens (wie aggressives oder dissoziales Verhalten) auf.

Die Betroffenen weisen auch ein deutlich erhöhtes Risiko auf, später selbst eine Sucht zu entwickeln. Schätzungen zufolge entwickelt etwa ein Drittel der Kinder, die einen suchtkranken Elternteil hatten, später selbst eine Sucht und ein weiteres Drittel eine andere psychische Störung.

Auch hier geht es nicht um eine Schuldfrage, sondern um eine Verantwortungsübernahme seitens der Eltern, unabhängig ob alkoholkrank oder co-abhängig. Wichtig ist, nicht dem Irrglauben zu erliegen, dass man_frau „alles“ von den Kindern, unabhängig vom Alter oder emotionalen Reifegrad, verstecken oder verheimlichen kann. Die eigene Co-Abhängigkeit schützt die Kinder nicht davor zu merken, dass zu Hause „etwas anders ist“, dass Mama oder Papa „komisch“ sind. Da Kinder diesen Zustand nicht einordnen können, sprechen sie ihn zu Hause auch nicht an. Oft interpretieren Klient_innen das Schweigen der eigenen Kinder als ein Zeichen, dass alles in Ordnung ist und dass sie gut geschützt sind. Leider ist das Gegenteil der Fall.

Ausschlaggebend ist eine offene Kommunikationsbasis mit Kindern, auch wenn sie nicht alles verstehen und zuordnen können. Denn diese ist essentiell, damit Kinder nicht anfangen, an ihrer Wahrnehmung, ihrer Intuition und schlussendlich an sich selbst zu zweifeln, was für ihre weitere Entwicklung schwere Folgen haben kann.


Alkoholentzug und Burnoutbehandlung: Autorin Mag.a Julia McElheney

Autorin: Mag.a Julia McElheney
Klinische- und Gesundheitspsychologin
Forensische Psychologin
Systemische Familientherapeutin


Literaturliste:

  • Kessler, Julia Maria. (2022). Mitgefangen in der Sucht. Mvgverlag.
  • Klein, Rudolf; Schmidt, Gunther. (2017). Alkoholabhängigkeit. Carl-Auer.
  • Laible, Beate. (2009). Alkoholismus bei Freuen. Studienarbeit. Grin Verlag.
  • Wagner, Elisabeth. (2021). Psychische Störungen verstehen: Orientierungshilfe für Angehörige. Springer.
  • Wagner, Elisabeth; Binnenstein, Sigrid. (2018). Wie systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie wirkt. Springer.

Weiterführende Links:

Alkoholismus als Familienkrankheit